Inflation

Beim Lesen dieses Beitrags über die Weltwirtschaftskrise und dem Stichwort "Inflation" ging mir durch den Kopf, was unsere Großeltern in kurzer Zeit so alles durchgemacht... ja, durchlitten haben. Meine Großväter waren Jahrgang 1901 und 1906, d.h. bei Ausbruch des 1. Weltkriegs war der eine gerade 13 Jahre alt, der andere 8. Die verheerende Inflation, die - nur wenige Jahre nach dem verlorenen Krieg - die Ersparnisse von Millionen Deutschen (aber auch Österreichern und Ungarn) vernichtete, erlebten sie mit Anfang 20, bzw. als 15-jähriger Teenager (wie man heute sagen würde). Ich erinnere mich noch an die Erzählungen des älteren, dass er auf dem Höhepunkt der Inflation sein Gehalt täglich ausgezahlt bekam und auf dem Heimweg gekauft hat, was es gerade an Lebensmitteln gab, weil das Geld schon am nächsten Tag an Wert verloren hatte. Vorzugsweise wurden solche Sachen gekauft, die sich länger hielten - Ölsardinen sind mir noch in Erinnerung geblieben.

Aber wie lief das eigentlich ab mit der Inflation?

 

Die Vorgeschichte

Das Unheil begann am 4. August 1914, als die Regierung die Pflicht der Reichsbank aufhob, Banknoten in Metallgeld (also Goldmark) einzulösen. Damit war die Zeit der goldgedeckten Währung zwar noch nicht beendet, denn die Dritteldeckung der umlaufenden Noten blieb zunächst noch erhalten.

Erklärung Dritteldeckung: In Deutschland wurde 1875 die sogenannte „Dritteldeckung“ eingeführt. Diese besagte, dass der Betrag der umlaufenden Banknoten zu einem Drittel durch Goldreserven gedeckt sein musste.

Diese Dritteldeckung verlor jedoch ihre Bedeutung dadurch, dass ein ebenfalls am 4. August 1914 erlassenes Gesetz die neu geschaffenen Darlehenskassenscheine ebenfalls für die Dritteldeckung zuließ. Aufgrund der Ausgestaltung dieser Darlehenskassenscheine waren sie dem Grunde nach ebenfalls Banknoten und die ausgebenden Institute eigentlich Notenbanken. Damit war das Tor zur Inflationierung der Mark einen ersten Spalt breit geöffnet. Denn solange die Mark mit Gold unterlegt war, konnte eine Inflationierung der Währung nur auf dem Wege der Münzverschlechterung erfolgen, d.h. durch eine offizielle oder heimliche Verringerung des Edelmetallgehaltes. Diesem Verfahren sind aber natürliche Grenzen gesetzt, weil der fehlende Goldanteil sich beispielsweise durch eine Änderung der Färbung der Münzen bemerkbar macht. Eine offene Verschlechterung wäre beispielsweise die Senkung der Golddeckung von einem Drittel z.B. auf ein Viertel gewesen, was jedoch der Reputation einer Währung schadet.

Papiergeld läßt sich dagegen in beliebiger Menge und zu äußerst geringen Kosten produzieren. Auch ist die damit verbundene Ausweitung der Geldmenge nicht so leicht erkennbar wie bei einer Münzverschlechterung.

Anmerkung: Bei der Reichsgründung 1871 wurde der Goldgehalt einer 10-Mark-Münze auf 3,5842 Gramm festgesetzt. Die Kaufkraft einer Mark wird für die 1913/1914 mit umgerechnet 8,08 bis 12,28 Euro angegeben (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Goldmark). Zum heutigen Tageskurs des Goldes (920 USD pro Feinunze, 1 USD = 1,57 Euro) hat eine solche Münze einen Wert von rund 67 Euro.

Mit Ausbruch des Krieges wurden im Deutschen Reich zunehmend Kriegsanleihen ausgeben, um die enormen Kosten eines modernen Krieges mit einem Massenheer zu finanzieren. Um diese Anleihen zurückzuzahlen, wurde wohl von Anfang an daran gedacht,den Kriegsgegner im Falle seiner - sicher geglaubten - Niederlage auszuplündern und ihm hohe Reparationen aufzuerlegen.

Nun, das Ende dieses Kriege ist ja bekannt. Er endete mit der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten. Gleichzeitig diktierte der Versailler Vertrag dem Deutschen Reich nun seinerseits hohe Reparationsleistungen. Eine Bedienung der Kriegsanleihen, Darlehenskassenscheine und sonstigen Schulden des Reiches war nun praktisch nicht mehr möglich. Noch waren die Auswirkungen allerdings nicht allzu erschreckend. Dazu ein kurzer Blick auf den Dollarkurs: Im Jahre 1913 schwankte dieser zwischen 4,1875 und 4,2200 Mark, bis Januar 1919 war er auf 7,95 Mark gestiegen ein Kursanstieg von 88 % in sechs Jahren (einen vergleichbaren Anstieg hat der Euro von Ende 2000 bei 0,83 USD bis heute - 1,56 USD, also in annähernd der gleichen Zeit, vollzogen). Aber nun sollte das Unheil seinen Lauf nehmen.

Die Inflation kommt auf Touren

In den folgenden drei Jahren legte die Inflation nun an Tempo zu. Der Wertverfall der Mark beschleunigte sich. Gleichzeitig stiegen die Schulden des Deutschen Reiches immer stärker an. Ende 1921 war der Dollar auf 190 Mark gestiegen. Der Banknotenumlauf hatte sich von 23 auf 113 Mrd. Mark verfünffacht und die Schulden des Reiches in Form von Schatzanweisungen war von 67 auf 247 Mrd. Mark explodiert.

Das Finale

Aber es sollte noch schlimmer kommen... viel schlimmer. In die nun folgenden Jahre 1922 und 1923 fallen weitere politische Ereignisse, die nicht dazu angetan waren, die Lage zu verbessern: die Ermordung Walther Rathenaus im Juni 1922, die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen im Januar 1923 und der anschließende "Ruhrkampf". Der passive Widerstand führte zu Generalstreiks in den besetzten Gebieten. In der Folge übernahm der Staat die Zahlung der Löhne für etwas 2 Millionen Betroffene. Finanziert mit frisch gedrucktem Geld, dem keine Güter gegenüberstanden.  Aus der galloppierenden Inflation wurde eine Hyperinflation. Als der Ruhrkampf im September 1923 abgebrochen wurde, waren die Schäden unermesslich. Der Banknotenumlauf entwickelte im Jahr 1923 die Wucht einer Lawine, die alles überrollte. Der Dollarkurs, der in den ersten 6 Monaten von 7.260 auf 74.750 Mark gestiegen war, vollführte in den folgenden Monaten unfassbare Kursbewegungen. Im August wurde die Millionenmarke überschritten, im Oktober bereits die Milliarde und im November die Billion. Ein US-Dollar kostete am 20. November 1923 die unvorstellbare Summe von 4,2 Billionen Mark.

Klar, dass sich die Preise genauso überschlugen wie der Dollar. Und natürlich mussten die Löhne dem folgen, sollten die Menschen nicht verhungern. Diese Phase muss es wohl gewesen sein, aus der die Geschichten meines Großvaters stammten, in denen er täglich sein Lohn bekam. Eilig bemüht, diese Papierfetzen so schnell wie möglich gegen irgendwelche Waren einzutauschen, bevor ihr Wert dem entsprach, was sie beim Verbrennen im Ofen an Energie abgaben. Angesichts dieser unvorstellbaren Zahlen und der Geschwindigkeit, mit der es in den letzten Monaten zu Ende ging, fällt es mir schwer, mir die Umstände vorzustellen, in denen die Menschen damals gelebt haben.

Gestoppt wurde die die Inflation im November 1923 durch die Ablösung der Papiermark und die Einführung der Rentenmark als Übergang zur darauf folgenden Reichsmark.

Die Folgen

Die ökonomischen und sozialen Folgen waren verheerend. Die Verlierer waren die abhängig Beschäftigten und die Besitzer von Geldvermögen. So erreichten die Reallöhne im Durchschnitt erst 1928 wieder das Niveau des Jahres 1913 (nach den Zahlen der amtlichen Statistik). Weite Teile der Mittelschichten fanden sich in Armut wieder. Ihre finanziellen Rücklagen waren in der Inflation bis auf kümmerliche Reste vernichtet worden. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Inflatioin die  Weimarer Republik in den Augen vieler diskreditiert hat und die Menschen sich von der Republik betrogen fühlten. Wen wundert es, wenn weite Teile der Arbeiterschaft und der Mittelschicht diesen Staat nicht mehr verteidigen wollten. Insbesondere als mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 ihre soziale Lage noch katastrophaler wurde als 1923. Wundert es einen, dass die Menschen in die Arme von Extremisten getrieben wurden? Ich meine nein.

Quellen:

  • Wikipedia.org
  • Richard Gaettens, Geschichte der Inflationen, Verlag Ernst Battenberg, München, 1982, ISBN 3-87045-211-0
     

 

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